Als der Kirmeszug noch am Dienstag stattfand . . .

Im Gedenken an den ehemaligen Kirmesvereins-Vorsitzenden Adolf Schlieper und zur Erinnerung an den früheren Kirmeszug-Dienstag trafen sich auch in diesem Jahr wieder zahlreiche Kirmesfreunde zum Heringsstippessen in der Gaststätte „Am Rosendahl“. Vom 1. Vorsitzenden Michael Sichelschmidt wurde ich gebeten, zu berichten, wie dieses Treffen entstanden und von Jahr zu Jahr gewachsen ist. Folgendes habe ich erzählt:

Nach der Ankündigung unseres 1. Vorsitzenden möchte ich nun keinen ausführlichen und tiefgründigen Vortrag halten, sondern ein wenig darüber erzählen, warum es diese völlig zwanglose Zusammenkunft an einem Dienstagvormittag gibt und wie es damit angefangen hat. Ich denke, jene von euch, die von Anfang an dabei waren, werden mich dabei ergänzen. Zunächst die Frage in die Runde: Hat jemand daran gedacht, dass der Kirmeszug inzwischen bereits seit 40 Jahren am Sonntag stattfindet? Für die Jüngeren unter uns ist der Sonntag sicherlich selbstverständlich. Aber die Älteren werden es wohl nie vergessen, dass das Hauptereignis unserer beliebten und weithin bekannten Kirmes von 1934 bis 1970 an einem Dienstagvormittag stattfand. Für unsere Altvorderen war das ein Feiertag. Sie waren stolz, erreicht zu haben, dass an diesem Werktag in den Fabriken nahezu alle Räder still standen und in den Schulen der Unterricht spätestes nach den ersten beiden Stunden beendet wurde. Denn der Zug startete um 10 Uhr, und da wollten auch alle Blagen dabei sein.

1970 dann ein gravierender Schnitt in der Geschichte unseres Kirmesvereins. Dass in der Jahreshauptversammlung am 4. Dezember 1970, die in der Gaststätte Ächter de Biecke an der Haßlinghauser Straße stattfand, langjährige und verdienstvolle Kirmesfreunde mit dem Vorsitzenden Adolf Schlieper an der Spitze ihren vorher angekündigten Rückzug aus dem aktiven Geschehen perfekt machten und deshalb ein völlig neuer Vorstand installiert sowie ein neuer Hammerschmied gesucht werden musste, möchte ich heute nur kurz erwähnen.

Gravierender war der (freilich nicht einstimmig gefasste) Beschluss, den Kirmeszug ab 1971 vom bisherigen Dienstag auf den Sonntag zu verlegen. Nicht wenige Kirmesfreunde waren, gelinde gesagt, stinksauer. Man muss es mit aller Deutlichkeit sagen: Es ging nicht anders. Der Verkehr hatte eminent zugenommen, Straßen in Gevelsberg für den Kirmeszug an einem Werktag zu sperren, war den zuständigen Behörden vor allem jenseits des Strückerberges schon seit längerem ein Dorn im Auge. Aber auch in den Fabriken, in denen in einer Zeit enormen Konjunkturbooms zunehmend auswärtige Arbeitskräfte beschäftigt wurden und eingeführte Akkord-Fließbänder den Produktionsablauf beschleunigen sollten, mehrten sich Stimmen des Widerstandes. Schließlich hatten die auswärtigen und ausländischen Arbeitskräfte kein Interesse, wie ihre Gevelsberger Kollegen für den Kirmeszug einen Tag Urlaub zu opfern.

Lange hatte sich der Kirmesverein gegen eine Verlegung vom Dienstag auf den Sonntag gewehrt, letztlich musste man sich jedoch einer Macht mit dem längeren Hebel beugen. So fand der erste Sonntagszug am 6. Juni 1971 statt, also vor jetzt 40 Jahren. Nachher war man sich nahezu einig: Die Verlegung war eine gute Lösung. Nicht zuletzt lockte der Sonntagszug noch mehr Zuschauer an. Die nicht mehr existierende Gruppe Juliushöhe war der erste Pokalsieger – die Gruppe Im Dörnen hatte beim letzten Dienstag-Zug gewonnen. Übrigens war 1970/71 die Zeit der sogenannten Hotpants, also der ganz heißen Höschen . . .

Kommen wir nun zu dem, warum wir hier und heute zum Heringsessen zusammensitzen. Völlig auf den Kirmes-Feiertag Dienstag wollten die damaligen „Macher“ freilich auch nicht verzichten. Vor allem der Kirmesverein-Gründer Adolf Schlieper nicht. Er jedenfalls lasse sich den Dienstag nicht nehmen, tat er kund. Ich zitiere ihn: „Ich bin ja Gevelsberger und habe mir vorgenommen, mich am Dienstag, 8. Juni, um 10.30 Uhr im Deutschen Haus am Nirgena einzufinden und auf ein paar trinkfeste und arbeitsscheue Kirmesstrategen, die so denken wie ich, zu warten“. Er hoffe, fügte er noch hinzu, dass Stadtdirektor Erich Blumenroth auch dürfe. Adolf wusste, dass der Verwaltungschef, übrigens ein engagierter Kirmesfreund, erst seine Sekretärin Irmgard Menkel fragen musste. Die war aber einverstanden.

Überraschenderweise kam eine ganze Reihe von trinkfesten und arbeitsscheuen Kirmesstrategen zusammen. Wieder war es Schliepers Adolf, der in der fröhlichen Runde die Idee hatte, in einer Polonaise durchs Städtchen zu ziehen. Gedacht, getan. Von der Stadt- und Feuerwehrkapelle war schnell eine dicke Pauke besorgt, dann ging es unter Vorantritt von Bürgermeister Helmut vom Schemm los: Über die Hagener Straße, wo sogar der Verkehr angehalten wurde, durch den Fußängertunnel Wasserstraße und die Mittelstraße hoch. Einzelhandelsgeschäfte wurden durchkämmt und manche Kneipe heimgesucht – es soll sogar Wirte gegeben haben, die beleidigt waren, dass es nicht auch bei ihnen einen Einkehrschwung gegeben hatte . . .

Allen Beteiligten hatte es soviel Spass gemacht, dass sie sich einig waren, sich auch künftig am Kirmeszug-Dienstagvormittag zu treffen. Worüber sich Adolf Schlieper ganz besonders freute. Jedoch nur vier Wochen später wurde er bei einem Urlaubsaufenthalt in Mautern in der Steiermark, seiner zweiten Heimat, plötzlich und völlig unerwartet aus dem Leben gerissen. Seine vielen Freunde, die es nicht fassen konnten, nahmen sich vor, in seinem Sinne weiterzumachen. Freilich war ihnen bewusst, dass der richtige Schwung ohne ihn fehlen würde.

1972 wurde die Polonaise genau umgekehrt durchgeführt: Man startete an der Gaststätte Herguth im Hippendorf und beendete sie im Deutschen Haus. Aus diesen Anfängen entwickelte sich dann zunächst ein sogenannter Katerschmaus, dann das Heringsstippessen, das einmal dem Gedächtnis des unvergessenen Adolf Schlieper dienen und zum anderen die Erinnerung an den früheren Kirmeszug-Dienstag wach halten sollte. Vom Deutschen Haus wechselte man in die Gaststätte Bonacker am Timpen und von dort, nachdem sich Ulrike und Rainer Bonacker im Mai 1981 zurück gezogen hatten, zu Heinz Grafen in die Gaststätte Am Rosendahl.

Es gab Jahre, auch daran möchte ich erinnern, dass der ganz harte Kern im Anschluss noch über die Kirmes zog und von dort die Siegerehrung besuchte. Ich denke aber, diese Zeiten sind längst vorbei. Und unser wie Schliepers Adolf unvergessener Kirmesstratege Friedrich-Wilhelm Brenne ärgerte sich einmal ganz gehörig, dass dieses Gedächtnis- bzw. Erinnerungsessen seiner Ansicht nach zu einem Familientreffen ausgeartet sei, weshalb er forderte: Frauen und erst recht Kinder haben hier nichts zu suchen. Basta!

Übrigens wurde das Heringsessen nie als offizielle Veranstaltung des Kirmesvereins gewertet. Lediglich vor zehn Jahren fand der Termin einmal auf den Kirmesplakaten Berücksichtigung. Nach rückte das neu eingeführte Treffen der Blaukittelträger. Zum Schluss meiner Replik ein letztes Erinnerungsbonbon: 1973 begann der Kirmesrummel im Dorf wegen des Fronleichnamtages bereits am Donnerstag, das Ende wurde schon am Montag eingeläutet. Ein Höhenfeuerwerk gab´s noch nicht. Die Siegerehrung fand aber am Dienstag statt.

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