Es gibt Unterschiede zwischen der Love Parade und Prozessionen

Vertreter von Vereinen, Verbänden und Kommunen legten SPD-Fraktion im Landtag ihre Sorgen zur Regulierungshektik nach Duisburg dar. Gevelsberger Kirmesverein war ebenfalls dabei.

Die wesentlichen Ergebnisse dieses Nachmittags (10. Januar 2012) im Landtag vorweg:

  1. Der enge Schulterschluss der rund 50 Verteter aus Verbänden, Vereinen und Kommunen blieb nicht ohne Eindruck auf die gastgebende SPD-Landtagsfraktion.
  2. Für den 2. Februar, 11 Uhr in der Jahrhunderthalle Bochum, zur Traditions-Veranstaltung „Referententag“ der Schausteller in Bochum, regte der Präsident des DSB (Deutscher Schausteller Bund e. V.), Albert Ritter, die Gründung eines „Schutzbundes für immaterielles Kulturgut“ an, der die jetzt begonnene überregionale Solidarität der Gruppen fortführen und ihre Lobby auch zu anderen Themen stärken soll.
  3. Unisono wehrten sich die Vertreter von Kirmesvereinen, Schützenvereinen, Schaustellern, Kirche (Prozessionen!) Karnevalsvereinen, DRK und Kommunen etc. gegen eine Regulierungswut von Politik und Behörden, welche die Duisburger Sonderveranstaltung „Love Parade“ mit Traditionsveranstaltungen über einen Kamm schert.

Die Aussagen der Gesprächsrunde im Plenarsaal sollen Donnerstag, 12. Januar, in eine Sitzung des Innenausschusses des Landtags eingebracht werden, versprachen MdL Thomas Stotko und der stellvertretende SPD-Fraktionschef im Landtag Hans-Willi Körfges. Ziel soll es sein, beim Innenministerium Änderungen des Erlasses zu Großveranstaltungen (ab 5000 Besucher) zu erreichen, so dass Vorschläge, berechtigte Ansprüche und Kritik Berücksichtigung finden. Bis Dezember 2011, so Körfges, haben mehr als 100 NRW-Kommunen Vorschläge eingereicht, die vom Land jetzt überprüft werden.

Der innenpolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion MdL Thomas Stotko (Witten) hatte bei seinem Besuch im Hippendorf im Frühjahr 2011 versprochen, die Gevelsberger Kirmesleute zu einer Diskussion zum Thema „Duisburg und danach“ in den Landtag einzuladen. Schon im April vergangenen Jahres war es um die Flut an Auflagen für sogenannte Großveranstaltungen gegangen. Das Gespräch im SPD-Plenarsaal des Landtags fand in einer erweiterten Runde mit Gruppierungen aus ganz NRW statt. Die Erste Vizepräsidentin des Landtags NRW, Carina Gödecke, hatte den Anstoß zu dieser vergrößerten Runde nach einem Informationsgespräch mit Albert Ritter gegeben.

Vom Gevelsberger Kirmesverein waren angereist Michael Sichelschmidt, Carsten Neef und Stefan Oesterling, außerdem der Gevelsberger Schausteller Thomas Krughöfer. Aus Schwelm waren u. a. die stellvertretende Bürgermeisterin und Dacho-Vorsitzende Christiane Sator und Dacho-Schriftführerin Karin Oelze-Böhmer gekommen, vom Heimatverein Voerde u. a. der 1. Vorsitzende Robert Dörnen, vom Hasper Heimat und Brauchtum Verein u. a. Vizepräsident Uwe Röhrig, vom Schaustellerverein Hagen u. a. der 1. Vorsitzende Dirk Wagner und sein Stellvertreter Alfons Tröger.

Schausteller sorgen sich um ihre Existenz

Wie stark Existenzsorgen der Schausteller geschürt wurden, zeigte sich in vielen Beiträgen. Wenn die erhöhten Sicherheitsanforderungen nicht finanziert werden können, sei es durch Vereine, Veranstalter, Kommunen oder die Schausteller selbst, fallen Veranstaltungen weg und damit die Erwerbsquellen dieses Berufsstandes. Entsprechend emotional waren die Beiträge, doch immer konstruktiv und angemessen. Hans-Peter Arens, Präsident des Bundesverbandes Deutscher Schausteller und Marktkaufleute e. V., warf den Hut gleich zu Beginn in den Ring, als er nach der Zusammensetzung des Erlass-Ausschusses fragte. „Wenn dieser Ausschuss bis 2013 tagen soll und die Veranstaltungen weiter aufrührt, kommen wir nicht zur Ruhe“, rief Arens leidenschaftlich. Befremden zeigten er und seine Kollegen wie auch ein Vertreter von DRK und Katastrophenschutz darüber, dass ihre Vertreter nicht in den Ausschuss aufgenommen wurden. Schaustellervertreter: „Bei uns gibt es kein Sicherheitsrisiko, wir haben mit Familien ein anderes Publikum als die Retortenveranstaltung Love Parade, bei uns strömen nicht alle auf einmal zu einer Bühne. Aber die Praktiker lässt man außen vor und innen wälzen Theoretiker dicke Aktenordner und schreiben Erlasse. Alle Ämter in den Städten hat dieser kopflose Erlass des Ministeriums aufgescheucht.“ Etliche Veranstaltungen seien jetzt schon ausgefallen oder abgesagt, weil Vereine die Auflagen nicht mehr schultern konnten. Wenn Buden auf einem Weihnachts- oder Bauernmarkt zwei Meter Abstand voneinander halten müssen und alle wiederum fünf Meter von den Hausfassaden, dann fallen viele gemütliche Örtlichkeiten als Veranstaltungsort weg. „Man muss doch unterscheiden zwischen Veranstaltungen mit Gefahrenpotenzial und solchen ohne“, wurde gefordert.

Weihnachtsmarkt anders als Retorten-Event „Love Parade“

„Der Erlass hat in den ersten Monaten nicht zur Sicherheit, sondern zu Unsicherheit und Kostensteigerung geführt. So mussten die Schausteller „einen Abwehrkampf“ führen, weil mit dem Hinweis auf Duisburg Flüssiggas auf Veranstaltungen verboten worden war. „Blinder Aktionismus“, so ihr Kommentar und „Vernünftiges Konzept ja. Da helfen wir auch gern mit. Aber nicht jedes Jahr andere Regelungen.“ Alwin Kleuser, Präsident des Markthandel und Schaustellerverbandes Westfalen, nannte ein Dortmunder Beispiel überzogener Regelungen. „Die Stadt forderte für den Weihnachtsmarkt plötzlich ein Personenstrom-Gutachten, das 30.000 bis 50.000 Euro kostet. Dann sollten wir an den beiden Kirchen nächtliche Brandwachen aufstellen, das ist ein zusätzlicher Kostenaufwand von 12.000 Euro.

König Fußball von Regelungen ungeschoren

Mit der Begründung, Fußballspiele seien von Auflagen für Großveranstaltungen ausgenommen, weil sie „immer wiederkehrende Veranstaltungen“ seien, hat sich das Ministerium in den Augen der Landtagsgäste ein Eigentor geschossen, denn „Kirmes, Schützenfeste, Karnevalszüge, Weihnachtsmärkte, Prozessionen sind seit Jahrhunderten immer wiederkehrende Ereignisse.“

Brauchtum nicht kaputtmachen

„Sie sind dabei, Brauchtum kaputtzumachen, wenn Sie von Ehrenamtlichen verlangen, dass sie sich mit diesem Wust an Sicherheitsauflagen herumschlagen sollen!“, warnte Axel Steiger, Justitiar des Regionalverbandes Düren im Bund Deutscher Karneval und stellte weiter fest: „Die Kölner Kollegen haben eine viel höhere Professionalität als Sie sich das vorstellen können. Wir sind für Sicherheit, aber wir lassen uns unser Brauchtum nicht kaputtmachen.“

In Gevelsberg sprang Stadt in die Bresche

Michael Sichelschmidt, Vorsitzender des Gevelsberger Kirmesvereins, warf ein, dass Schausteller schon im eigenen Interesse auf Sicherheit achteten, denn sie verdienen damit ein ganzes Leben lang den Lebensunterhalt für sich und ihre Familien. Der Gevelsberger: „Welche kleine Gruppe kann schon für die TÜV-Untersuchungen aufkommen? In Gevelsberg ist die Stadt in die Bresche gesprungen und hat die Gebühren bezahlt, sonst läge ein Stück Brauchtum bei uns schon am Boden. Ich sehe sehr schwarz, wenn das so weitergeht.“ Er verwies darauf, dass der Gevelsberger Kirmeszug seit 75 Jahren unfallfrei sei, weil sich Verantwortliche Gedanken zur Sicherheit gemacht hätten. Daran werde permanent weiter gearbeitet. Der Vorstand habe selbst ein Interesse, nicht mit beiden Füßen im Knast zu stehen. Hubertus Kramer, MdL EN-Kreis/Hagen pflichtete ihm bei: „Ausgehend von Duisburg sind stärkere Sicherheitsmaßnahmen bei Fluchtwegen verständlich, aber deshalb nicht auch bei der Wagensicherheit.“

Beispiele der Kopflosigkeit

Beispiele verunglückter Regulierung wurden genannt. So sollte in Eschweiler ein Verein zusätzlich 50 Wagenbegleiter stellen. In Lünen durfte der Nikolaus nicht mehr traditonsgemäß aus der Lippe aufsteigen, weil die Veranstalter nicht angeben konnten, ob nicht doch 5000 Besucher kommen würden. Ein Vertreter vom Bund der Historischen-Deutschen Schützenbruderschaft pointierte etwas, als er berichtete, für 150 Besucher und einen Umzug mit sechs Schützen habe man Lautsprecher für eventuelle Durchsagen aufstellen müssen. In Neuss sei ein Sicherheitskonzept für 8000 Euro gefordert worden, das letztlich das Umstellen von zwei Wegweisern forderte. Bei Festzügen in Soest sollten Ordner die Straßeneinmündungen sichern, „dann könnten die Vereine nur noch Musiker mitschicken.“ Beim 3,5 Kilometer langen Festzug zum Bundesfest mit 15.000 Schützen sollte alle 15 Meter ein Ordner stehen, was 150 Leute gewesen wären. „Was sollen die ordnen?“ Als Absurdität angeführt wurde auch die Forderung nach einer präsenten Höhenrettung für ein Riesenrad: Ein Riesenrad kann mechanisch gedreht werden.

Berlin zog erfolgreich Konsequenzen

Beim Jahreswechsel 2011/12 in Berlin, so wurde berichtet, seien die restrikten Sicherheitsvorkehrungen von 2010/11 nicht mehr angewendet wurden, es habe keine Vorfälle gegeben und weniger Reibereien als im Jahr zuvor.

Cranger Kirmes: Differenzierung notwendig

Die Vertreterin der Stadt Herne, verantwortlich für die Cranger Kirmes, bedauerte, dass es sich nach Duisburg anfühle „wie in einem gesetzesfreien Raum“ mit Aktionismus und Angst vor Entscheidung. Mit allen Sicherheitsstellen abgestimmte Sicherheitskonzepte habe es auch schon vor 2011 gegeben: „Es ist eine Differenzierung notwendig. Ist es eine neue Veranstaltung auf unerprobtem Gelände oder eine Traditionsveranstaltung?“ Ein Vertreter der Katholischen Kirche sah „deutliche Unterschiede zwischen Prozessionen und der Love Parade.“ Gabriele Isken, Schaustellerin aus Dortmund, erklärte, dass der gute Verlauf der Fußballweltmeisterschaft 2006 auch den Schaustellern zu verdanken gewesen sei, denn diese hätten die Ordner geschult. Axel Steiger, Karnevalist und Rechtsanwalt, forderte von Politikern und Verwaltung: „Machen Sie zuerst Ihre Aufgaben. Kommen Sie mit einem vernünftigen Konzept. Wir helfen Ihnen sogar. Wir wollen unsere Besucher nicht schädigen. Aber so bekommen Sie eine gewaltige Front! Wir befinden uns mit diesen Regulierungen in einem rechtsfreien, rechtswidrigen Raum.

Dringende Bitte nach politischem Druck für mehr Vernunft

Hans-Willi Köfges (SPD) fasste zusammen: Es gebe in Einzelheiten gesetzliche Grundlagen, doch sei eine Vereinheitlichung der Grundlagen notwendig. Hilfreich sei, wenn weitere konkrete Beispiele mitgeteilt würden. Der Landtag könne dem Ministerium aber keine Vorschriften für den Erlass machen. Ein Vertreter aus dem Plenum: „Es stimmt, Sie sind nicht weisungsbefugt gegenüber dem Ministerium, aber Sie können politischen Druck ausüben und darauf setzen wir!“

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