„Wir sind das Ruhrgebiet …“
Ruhrgebiet, Ruhrpott, Revier – all diese Bezeichnungen stehen für ein und dieselbe unverwechselbare Region „tief im Westen“. Es ist ein Ballungsraum, in dem Stadtgrenzen verschwimmen und der in den letzten Jahrzehnten eine Wandlung durchgemacht hat, die ihresgleichen sucht. Wo früher Stahl gekocht und Kohle abgebaut wurde, finden sich heute renaturierte Grünflächen und Erholungsgebiete, die zu Spaziergängen und Radtouren einladen.
In umgewandelten Industrieanlagen haben Kunst und Kultur, Freizeitsport und Entertainment eine neue Heimat gefunden. Das ist lebendige Industriekultur. Die Mentalität der dort lebenden Menschen ist bekannt dafür, dass sie ihre Meinung klar, direkt und unverblümt äußern. Kurz gesagt: Ruhrpottler sind bodenständig, ehrlich und hilfsbereit.
Letzteres gilt heutzutage auch für Julez, die „Mutti des Jahres“. Als Einzelgängerin vollzieht sie alltäglich den Spagat zwischen Job und Familie. Jede Menge Ballast, in Form von kleinen und großen Päckchen, lastet dabei auf ihr, die es gilt in Balance zu halten. Nur all zu gut weiß Julez, dass die gesellschaftliche Erwartungen, aber auch ihre Selbstansprüche, immens hoch sind. Auch wenn sie alles mit Spaß und Unterhaltung verbindet, so ein kleiner Denkanstoß könnte jedoch dabei sein.
Früher war irgendwie doch alles einfacher
Vor allem war es aber auch billiger. Selbst am Büdchen, dessen Kultstatus ganz eng mit der Identität des Ruhrgebiets verknüpft ist. Hier bekam man einfach alles, was ein ordentlicher Ruhrgebiets-Kiosk so führte: Zeitungen, Zigaretten, Kaffee, Bier und die berühmte „Gemischte Tüte“. Für einen Heiermann konnten die meist jungen Kunden diese von Hand mit jeder Menge Süßigkeiten füllen. Ob als Colafläschchen, Lakritz oder Brausestangen – die Kindergruppe erinnert noch einmal an den Inhalt solch einer Tüte.
So bekannt wie die gemischte Tüte ist auch die „Currywurst Pommes“, wie die Frauengruppe zu berichten weiß. Für die Damen steht fest: „Egal ob nach ner langen Schicht inne Zeche oder Maloche inne Industriehalle, wat Besseres als ne Currywurst gibbet nich!“ Und wenn diese von ihnen auch noch selbst zubereitet wird, dann spricht man im „Pott“ von einem kulinarischen Gedicht.
Mit der passenden Musik im Hintergrund, natürlich „Currywurst“ von Herbert Grönemeyer, ist die Zubereitung ziemlich einfach. Eine Kartoffel wird in die Fritteuse geworfen, und heraus springen frische, lebende Pommes. Diese landen in einer Pommesschale, in der sich bereits die Currywurst befindet. Um solch eine „Pommes Schranke“ komplett zu machen, müssen schlussendlich noch Ketchup & Mayo aus den Pumpflaschen auf dem Gericht landen.
Sie fahren mit einer ausgesprochen „nervigen“ Melodie langsam durch die Straßen auf der Suche nach Schrott. Die „Schrottis“, wie sie liebenvoll genannt werden. Ohne sie wäre das Ruhrgebiet nicht das gleiche. Als solch ein „Schrotti“ zieht Einzelgänger Fabian, im Blaumann und mit Helm, seinen Wagen hinter sich her und lässt immer mal wieder die allseits bekannte Melodie erklingen.
„Legenden des Ruhrgebiets“
Ausgestattet mit zwei Müllgreifern hält er dabei seine Augen auf, um zu schauen was er vom Müll am Wegesrand noch so alles zu Geld machen kann. Die gemischte Tüte, eine Currywurst Pommes und der Schrotti sind zwar alles „Legenden des Ruhrgebiets“, doch es ist der auf einem Wagen rollende 5,70 Meter hohe Förderturm, der als Zeitzeuge und Kulturgut ein Überbleibsel vergangener Tage ist.
Ein Koloss in der Landschaft, der anmutig und schön zugleich ist. Ihm zu Füßen hat sich ein Büdchen angesiedelt, wo nach der erfolgreichen Schicht die Kumpels sowie die Fußballfans der Traditionsmannschaften des Ruhrgebiets einkehren. Anders ausgedrückt: „Hier kannst du leben bei Fußball und bei Bier; bist nie alleine bei uns hier im Revier“. Was letztlich auch eine Mofa-Gang dazu animiert, ihre Maschinen an zu schmeißen und, in klassischer Leder- und Jeanskutte samt Fuchsschwanz, einen Trip ins Ruhrgebiet zu unternehmen – wohin auch sonst.
Text/Foto: André Sicks
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