Wunderschöner Zug zeigte: Wir alle (!) sind die Kirmes

Unglaubliche Fülle an Ideen perfekt umgesetzt / Darstellungen noch heißer als das Wetter
(Text Werner Bloemer)

Wir sind Gevelsberg und wir sind Kirmes-Weltmeister. Und das „Wir” umfasst nicht nur unsere 13 Kirmes-Gruppen, die wieder Gewaltiges geleistet haben, sondern auch unsere Italiener mit Don Cataldo an der Spitze, unsere Griechen mit Spiridon Tsiokas, unsere Abiturienten, unsere Polizei, unsere Technischen Betriebe, unser ProCity – wir alle sind Gevelsberg. Auch das zeigte der gestrige wunderschöne Kirmeszug in aller Deutlichkeit. Es war heiß, eigentlich zu heiß. Und doch gaben alle Akteure ihr Bestes, gingen bis an die Schmerzgrenze, um dem Publikum das Ereignis zu bieten, auf das Zehntausende wieder mal ein ganzes Jahr lang warten mussten. Der Ideenreichtum der 13 Kirmesgruppen, in vielen, vielen Arbeitsstunden farbenfroh und technisch brillant umgesetzt, begeisterte die Zuschauer. Heimatgeschichte war da ebenso zu sehen wie purer Spaß an der Freud.

Wie konnte es anders sein in Zeiten der Weltmeisterschaft: Fußball war natürlich auch ein Thema. Da gab’s die „dicken”, in aufgeblasenen Ball-Kostümen steckenden Börkeyer Frauen oder die Einzelgängerin von Vie vam Kopp als Hüterin sehr kleiner Tore – schwierig, da einen Ball unterzubringen. Die „wilden Brumse-Kerle” stürmten Richtung Kirmestor und die Hippendorf-Frauen kamen als lebendige Kicker-Figuren. Doch der Reihe nach. Hier die Wagen der 13 Kirmesgruppen in der Reihenfolge ihres Erscheinens:

An die alte Johanneskirche, die heute Vereinsheim des Drum- & Bugle-Corps Fidele Vogelsanger ist (das der Darstellung voran marschierte), erinnerte die KG Fidele Vogelsanger. So sahen Taufe, Trauung und Goldhochzeit in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts aus – natürlich zu Glockengeläut. Auf dem Wagen spielten die „alten” Fidelen Vogelsanger dazu.

Auch die KG Börkey ließ längst vergangene Zeiten lebendig werden: Liebevoll nachgebaut hatte sie die Straßenbahn, die vor 50 Jahren zum letzten Mal durch Gevelsberg fuhr. Angelehnt an das Kirmesmotto hieß es: „Wat gott us dä Lüöcker aan, vie föhrt enfach wie’r Stroatenbahn!” Mit der Tram (Fahrer war der langhaarige „Wärk 2”-Börkeyer Jürgen Piorek) ging’s zur Kirmes.

Rund 30 überaus lebendige Gartenzwerge schickte die KG Vie vam Kopp ins Rennen. Imposant nicht nur der als riesiger Rasenmäher verkleidete Trecker, sondern auch ein „Männeken Piss”- Gartenzwerg, der offensichtlich mächtig „Druck” hatte. Auf dem Zwergenkurhaus dahinter hätte mancher Zuschauer sich auch gern „behandeln” lassen.

Schöne Kostüme, echter Enzian – die KG Berge entführte die Zuschauer in die Berge. Auf der Alm wurde zünftig gefeiert, auf dem Berggipfel schneite es, und mit Wasser aus einer Heilquelle stärkten sich die müden Partygäste.

Fast wie im richtigen Leben ging es bei der KG Mühlenhämmer zu: Die Freibeuter der Landesregierung jagten das (in diesem Fall wörtlich zu nehmende) „letzte Hemd” der Stadt Gevelsberg, Angela Merkel als Krake hatte das Piratenschiff (eine Super-Bauleistung!) schon im Griff. Allein auf diesem Wagen wurden 200 Meter Seil verarbeitet. Und obwohl es qualmte, kam der Kanonendonner ganz ungefährlich von der Tonkonserve.

Ja, den Speck los zu werden ist nicht leicht, da ist knochenharter Sport gefragt. Aber die KG Schnellmark zeigte in ihrer bewegten Wagendarstellung auch, wie man es sich anschließend in Schlammbad, Solarium und Sauna gutgehen lasssen kann.

Arme „Lilli Marleen”: Ihr „Arbeitsplatz” wurde ständig verschoben – denn ihre Laterne störte beim Abbiegen des Kirmeszuges vor dem Kirmestor von der Mittel- in die Nordstraße. Die KG Vie ut Asbi’eck beleuchtete mit dieser Darstellung ein Problem, das im Zuge der Neugestaltung der Mittelstraße noch diskutiert wird.

Den Umbau der Mittelstraße griff auch die KG Aechter de Biecke auf. „Wir bauen billiger”, behaupteten die Akteure. Weil sie nämlich unter einer Unterdachung rund um die Uhr tätig sind. Und bei einer Verlosung gab’s sogar Arbeitsplätze zu gewinnen.

„Wir sind Gevelsberg – Du bist Deutschland” hatte sich die KG Pinass Brumse auf ihre Wagen geschrieben. Klar: Wir feiern Kirmes. Deutschland dagegen ist das Land der Jobagenturen und unerfreulichen Statistiken, die – auch ein Job – per Hand nach unten korrigiert wurden. Und über allem thronte der Pleitegeier auf dem Brandenburger Tor.

Südamerikaner können nicht nur Fußball spielen. Die KG Im Dörnen zeigte ihr „Café Olé” mit rund 80 überaus bunt gewandeten Darstellern. Eine überdimensionale Papp-Oma mahlte Kaffee – und unten aus der Mühle kamen Tänzerinnen aus Brasilien, Mexiko und Kolumbien, um für ihren Kaffee zu werben.

„Kult” war Titel und Programm des „Musicals” der KG Hippendorf. Wurde ein Knopf an der riesigen Musikbox gedrückt, erschien ein Künstler der 60er Jahre „live” auf der Bühne. Auch rund um den Wagen war allerhand Bewegung. Erholung bot da „Marylins (Milch-)Bar”.

Das Motto der KG Haufer Jungen lautete: „Morgens Fango, abends Tango” – und das kennt man ja. Nur: Wer möchte schon ins Moorbad, wenn das aus der Toilette gespeist wird? Doch danach frisch gestylt kann’s dann doch auf die Rolle gehen.

Da wurden Kinderträume wahr: Die KG Dä vam Lusebrink entführte in den „Wilden Westen”, der so wild gar nicht war. Aber schön: mit Häuptling „Flinker Finger”, Cowboys und einer Pokerrunde. Ein richtiger Wasserfall brachte Abkühlung, die allerdings dem armen Kerl am Marterpfahl abging.

Aber nicht nur die erwähnten großen Wagendarstellungen prägten den Kirmeszug. Viele Fußgruppen, Einzelgänger, Frauen- und Jugendgruppen trugen das ihre zum Gelingen bei. Von ihnen wird morgen noch ausführlich die Rede sein.

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